Verfassungsklage gegen das Kommunalwahlgesetz

Liebe Freundinnen und liebe Freunde,

im April haben CDU und FDP trotz teilweise massiver Kritik am Inhalt und auch am Vorgehen eine Änderung des Kommunalwahlgesetzes im Landtag beschlossen. Damit gehen eine Reihe von Änderungen einher, unter anderem die Abschaffung der Stichwahl und die Neueinteilung der Kommunalwahlkreise. Zusammen mit den Abgeordneten der SPD-Fraktion haben wir den renommierten Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Martin Morlok beauftragt eine Normenkontrollklage vorzubereiten, um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Antragsschrift haben wir nun beim Landesverfassungsgericht in Münster eingereicht.

Wir sehen in der Abschaffung der Stichwahl einen massiven Verstoß gegen das Demokratieprinzip: Die Legitimation durch eine Mehrheit ist nicht gegeben und die Chancengleichheit kleiner Parteien wird beeinträchtigt. Diese werden unter faktischen Druck gesetzt, ihre Stärke bei den Wähler*innen gar nicht erst auszutesten, sondern sich schon im Vorhinein für Kandidat*innen einer größeren Partei auszusprechen.

Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aus unserer Sicht die intensive Würdigung des Urteils des Landesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009 wichtig. Der Verfassungsgerichtshof hatte seinerzeit die damals bereits von der Rüttgers-Regierung beschlossene Abschaffung der Stichwahl gebilligt. Er hielt die durch nur einen Wahlgang ins Amt gekommenen Bürgermeister*innen für noch hinreichend legitimiert. Das Gericht hatte seiner Entscheidung aber eine Vorsichtsklausel hinzugefügt: Es verpflichtete den Gesetzgeber, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob das Legitimationsniveau der Gewählten weiterhin hinreichend sei.

Mittlerweile haben sich deutlich erkennbar wesentliche Änderungen der politischen Umstände ergeben. CDU und FDP verkennen, dass sich die Parteienlandschaft geändert hat. Sie hat sich immer weiter aufgefächert und eine größere Zahl von Parteien – auch von Wählergemeinschaften und Einzelkandidat*innen – treten zu Bürgermeister- und Landratswahlen an. Dies führt aber regelmäßig dazu, dass die Stimmen sich weiter verteilen, der/die Wahlsieger*in also einen kleineren Anteil der Gesamtstimmenanzahl auf sich vereinigen kann. Dies begründet die Erwartung, dass in vielen Fällen der/die Sieger*in eine Stimmenzahl nur im Bereich unter 40 Prozent oder noch deutlich weniger haben wird. Gerade die jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament haben gezeigt, dass mindestens die drei stärksten Parteien über ähnlich hohe Stimmanteile verfügen. In den 54 kreisfreien Städten und Landkreisen Nordrhein-Westfalens hat gerade einmal in drei Fällen eine Partei mindestens 40 Prozent der gültigen Stimmen erreicht. In nicht einmal der Hälfte der Fälle hat die stärkste Partei mindestens 30 Prozent der Stimmen erlangt, wobei der Abstand zwischen der erst-, zweit- und der drittplatzierten Partei immer geringer wird.

Jemanden mit einem Stimmenanteil, der deutlich unter der absoluten Mehrheit liegt, zum bzw. zur Bürgermeister*in oder Landrat bzw. Landrätin zu machen, stellt das Prinzip der demokratischen Legitimation durch die Mehrheit auf den Kopf. Diese Entwicklung haben die Regierungsfraktionen in ihrer Gesetzesänderung  komplett ausgeklammert, und somit aus unserer Sicht einen wichtigen Teil des Urteils aus 2009 missachtet.

Außerdem wenden wir uns gegen die Änderung beim Zuschnitt der Kommunalwahlkreise. Künftig soll auf die Zahl der Wahlberechtigten abgehoben werden und nicht auf die Einwohnerzahl. Auch hier hat der Gesetzgeber weder das Problem benannt, das er mit der Änderung beseitigen wollte, noch praktische Folgeprobleme dieser Umstellung bedacht.

Dass dieses Verfahren erst etwas mehr als ein Jahr vor der Kommunalwahl eingeleitet werden kann, liegt darin begründet, dass CDU und FDP ihren zweiten Änderungsantrag zum Gesetzentwurf erst  in diesem Jahr eingebracht haben. In der Vergangenheit war es üblich, solche grundlegenden Veränderungen am Wahlrecht mit ausreichendem Abstand zur jeweiligen Wahl anzugehen und einen möglichst großen Konsens im Landtag hierüber herbeizuführen. Zum Vergleich: Die Wiedereinführung der Stichwahl im Jahr 2011 wurde vier Jahre vor der regulären Wahl der Hauptverwaltungsbeamt*innen beschlossen und zwar mit den Stimmen aller im Landtag vertretenen Fraktionen, mit Ausnahme der CDU.

Sollte das Verfassungsgericht die beschlossene Regelung für verfassungswidrig erklären, tritt damit automatisch das bisherige Kommunalwahlgesetz wieder in Kraft. Das heißt, es ist kein neuer aufwändiger Gesetzgebungsprozess nötig – große zeitliche Verzögerungen müssen nicht befürchtet werden.